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Daniel („mein Richter ist Gott“), einer der merkwürdigsten prophetischen Männer der Bibel, wird Hes. 14, 14 zwischen Noah und Hiob als einer der Gerechtesten, Gottgefälligsten des Volkes genannt, Hes. 28, 3 als ein Weiser, dem das Verborgene wunderbar erschlossen sei, welche Erwähnungen von seiten eines älteren Zeitgenossen sich höchstens bei ganz außerordentlicher Stellung D.s begreifen. Näheres berichtet über ihn das Buch Daniel, in der deutschen Bibel das vierte der großen prophetischen Bücher, dagegen in der hebräischen nicht unter diesen, sondern in der dritten Abteilung des Kanons befindlich. Daß D. in späterer Zeit eine beliebte Persönlichkeit der Volkssage wurde, an welche sich mancherlei Legenden hingen, zeigen die apokryphischen Zusätze zu dem Buche, welche den Lobgesang der Männer im Feuerofen, die Geschichte Susannas und D.s, die von D. und den Priestern des Bel und dem Drachen zu Babel enthalten. — Nach dem Buch D. ist dieser als Jüngling fürstlicher Abkunst im dritten Jahr des Königs Jojakim von Nebukadnezar nach Babel gefangen geführt worden, wo er den Namen Beltsazar (s. d. Art.) erhielt und mit seinen drei Freunden zu Ansehen und hohen Ämtern kam. Trotz schwerer Versuchungen bewiesen sie sich dabei als treue Bekenner und Diener des wahren Gottes, wovon in Kap. 1–6 Proben gegeben werden: sie hielten die Speisegebote (K. 1) und verweigerten die Anbetung eines Bildes (K. 3) oder Despoten (K. 6), und wurden bei ihrem Martyrium von Gott wunderbar bewahrt. D. selbst aber zeichnete sich durch die gottverliehene Gabe der Traumdeutung und durch Gesichte aus. So gelangte nicht nur er selbst zu hohen Ehren sowohl am Hofe Nebukadnezars (K. 2 u. 4) als bei dessen Sohn und Nachfolger Belsazar (vgl. d. Art.), K. 5, sondern bewirkte auch, daß sein Gott von diesen Herrschern, wie auch von Darius dem Meder (K. 6) anerkannt und in Ehren gehalten wurde. — In der zweiten Hälfte des Buches (Kap. 7–12) werden eine Reihe von prophetischen Gesichten D.s mitgeteilt, welche gewissermaßen die Ausführung des Kap. 2 gedeuteten Traumes enthalten. Von der Weise anderer Propheten unterscheiden sich die Offenbarungen dieses Sehers dadurch, daß sie mehr politischen und zwar kosmopolitischen Charakter haben, d. h. den Verlauf der äußeren Völker- und Weltgeschichte darstellen, freilich in Beziehung zur Vollendung des Reiches Gottes. Der Gegensatz von Weltreich und Gottesreich, die Entwicklung des Weltreiches, sein Kampf mit dem Gottesreich und der endgültige Sieg des letzteren über das erste — bilden den Gegenstand dieser ersten „Apokalypse“, d. h. Offenbarung über den Verlauf der Geschichte. Eine zielstrebige, darum einheitliche Geschichtsbetrachtung tritt uns hier zuerst entgegen; die Motive dazu lagen freilich von jeher in der israelitischen Prophetie. Dieser mehr politische und universale Charakter der Weissagungen D.s entspricht seiner persönlichen Stellung. Er war nicht Hüter und Seelsorger seines Volkes wie ein Jeremia oder Hesekiel, sondern Staatsmann mit weitem Blick nach außen. Ähnlich wie Joseph am ägyptischen Hofe vertrat er seinen Gott am babylon. Mittelpunkt der Völkerbewegungen. Wie die Sprüche Bileams lassen daher die danielischen Gesichte mehr die Außenseite des Gottesreiches und die Lichtseite des Gottesvolkes zu Tage treten. Die Stunde ist aber bei D. vorgerückt, der Standpunkt ein höherer. — Näher sieht D. in vier Reichen die Macht der Welt sich entfalten (2, 31 ff.; 7, 3 ff.). Vier ist die Zahl der Welt, des Universums (vgl. Sach. 2, 1 f. u. ö.). Das vierte Reich ist, wenn man mit 7, 7 f. das gefährliche Horn 8, 9 ff. vergleicht, nicht das römische, wie man nach der symbolischen Darstellung denken sollte, sondern das griech.-makedonische, aus welchem dem Volke Gottes der schlimmste Feind in Gestalt des Antiochus Epiphanes (reg. 175–164 v. Chr.) hervorging (vgl. den Art. Antiochus), den man unschwer in den einläßlichen Schilderungen (K. 8 u. 11) erkennt, wenn man 1 Makk. 1 vergleicht. In diesem fand die Gottesfeindschaft ein bewußtes Haupt, der Alte Bund einen Antichrist. Die nächste Bestimmung des Buches D. war die, das gottesfürchtige Israel in jenem Kampf auf Leben u. Tod, den es mit dem syrischen Tyrannen durchzukämpfen hatte, aufzurichten und zur Standhaftigkeit zu ermahnen. Auf die schwerste letzte Bedrängnis welche nur eine kurze ist (eine halbe Woche 9, 27 = 3½ Zeiten oder Jahre 12, 7), folgt die Erlösung und Aufrichtung des göttlichen Reiches auf Erden nach den prophetischen Weissagungen. Ja, es sind unverkennbare sprachliche und inhaltliche Anzeichen dafür vorhanden, daß unser Buch so, wie es vorliegt, erst in der Zeit jenes Herrschers geschrieben ist, womit wohl auch seine späte Stellung im hebräischen Kanon zusammenhängt. Allein dies schließt nicht aus, daß sein Inhalt im wesentlichen aus früherer Zeit stammen kann, so daß danielische Überlieferungen geschichtlicher und prophetischer Art darin gesammelt sind. In manchen Zügen stimmt das Buch D. merkwürdig mit den Denkmälern überein. Anderseits fehlt es besonders in den Einrahmungen der Erzählungen nicht an chronologischen und geschichtlichen Verstößen. Diese mögen von längerer mündlicher Überlieferung herrühren, aus der sich auch eine der Bibel sonst nicht eigene Vorliebe für grelle Ausmalung verstehen läßt. Auch die Zweisprachigkeit des Buches, das von 2, 4–7, 28 aramäisch geschrieben ist, deutet darauf, daß es mancherlei Fata erlebt hat. Ebenso sind die Visionen nicht aus Einem Guß. Das römische Reich scheint als viertes Weltreich schon im Gesichtskreis des ursprünglichen Sehers gelegen zu haben. Vgl. auch da 11, 30 mit 4 Mo. 24, 24. Der Verfasser des heutigen Buches dagegen bezog die Ausgänge dieses Reichs auf seine Gegenwart und führte die Einzelheiten so aus, daß seine Zeitgenossen ihre Lage darin erblicken mußten. Daß auch er prophetisch inspiriert war, bewies der zur angesetzten Zeit erfolgende Umschwung der Dinge. Das Neue Testament verlegt den Entscheidungskampf, wie ihn D. schildert, wieder in die Zukunft (vgl. z. B. Mt. 24, 15 mit Da. 9, 27; 12, 11), wo erst der eigentliche Widersacher Gottes, dessen Vorbild jener Antiochus war, auftreten und der gläubigen Gemeinde die letzte Not bereiten wird, bis der Herr erscheint und ihn vernichtet, sowie die von den Toten Auferweckten richtet (vgl. z. B. 2 Th. 2, 3 ff. mit Da. 11, 31 ff. usf.). Überhaupt aber hat das Buch, so viele Rätsel seine Entstehung und seinen Inhalt umgeben, für das N. T., insbesondere für die Lehre Jesu eine fundamentale Bedeutung. Die Grundbegriffe des Evangeliums Jesu Christi: Gottesreich, Himmelreich, Menschensohn, lehnen sich in erster Linie an D. an, wenn sie auch im Munde des Herrn eine tiefere und reichere Bedeutung gewonnen haben. Das Buch D. faßt die alttestamentliche Weissagung ähnlich zusammen wie die Offenbarung Johannis die neutestamentliche. Seine Darstellung des Messias als des Menschensohnes, in welchem die Menschheit zu ihrer gottgewollten Vollendung und Würde kommt, seine Bezeugung der doppelten Auferstehung zur Seligkeit und zum Gericht (12, 2) wie seine Schilderung der in Gottesfeindschaft sich immer trotziger erhebenden Weltmacht vollenden gewissermaßen das von den Propheten in einzelnen Zügen Angekündigte zu einem abgerundeten Bilde. — Der Name D. kommt auch sonst vor; so heißt außer dem Propheten: 1) ein Sohn Davids und der Abigail, 1 Chr. 3, 1; 2) ein mit Esra aus dem babylonischen Exil zurückkehrender Priester, Esra 8, 2; Ne. 10, 7. Merkwürdigerweise kommen auch die Namen der Freunde D.s unter jenen heimkehrenden Exulanten vor: Misael, Ne. 8, 4; Asarja, Ne. 10, 3; Hananja, Ne. 10, 24.
v. Orelli.
About Calwer Bibellexikon: Biblisches Handwörterbuch illustriertDas Calwer Bibellexikon ist einer der bekanntesten Namen unter den deutschsprachigen Bibellexika. Laut Vorwort ist es als ein Handbuch für den nachdenkenden Bibelleser, Geistlichen oder Religionslehrer gedacht. Das Nachschlagewerk soll es dem Leser ermöglichen, ein „eben gelesenes Bibelwort als ein Glied in das ganze Gebäude seiner biblischen Anschauungs- und Gedankenwelt“ einzufügen. Der Herausgeber Paul Zeller merkt zudem an, das Werk sei „in dem einen Geist demütiger Ehrfurcht vor dem Worte Gottes und herzlicher Liebe zu der heiligen Schrift“ entstanden (Vorwort 2. Aufl.). Das Calwer Bibellexikon erschien zum ersten Mal im Jahr 1884, die zweite Auflage 1893, beide erfreuten sich großer Nachfrage. Die hier verfügbare dritte Auflage (1912) ist das Ergebnis einer umfassenderen Umarbeitung und teils auch Verkürzung. Der Herausgeber und die Mitwirkenden stammten zumeist aus der Württembergischen Landeskirche und der Schweiz. Bekannt war es auch unter dem alternativen Titel „Biblisches Handwörterbuch, illustriert“. |
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