FRIEDR. SCHLEIERMACHER

Über die Religion

Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern

VERLAG VON FELIX MEINER • HAMBURG

Philosophische Bibliothek Band 255

Herausgegeben von Hans-Joachim Rothert

©

FELIX MEINER

1958

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft / Alle Rechte für die vorliegende Ausgabe vorbehalten Hamburger Druckereigesellschaft Kurt Weltzien KG., Hamburg-Bahrenfeld / Schrift: 9 Punkt Cornelia-Antiqua Linotype

ERSTE REDE

APOLOGIE

Es mag ein unerwartetes Unternehmen sein, und Ihr mögt Euch billig darüber wundern, daß jemand gerade von denen, welche sich über das Gemeine erhoben haben, und von der Weisheit des Jahrhunderts durchdrungen sind, Gehör verlangen kann für einen, von ihnen so ganz vernachlässigten Gegenstand. Ich bekenne, daß ich nichts anzugeben weiß, was mir einen glücklichen Ausgang weissagte, nicht einmal den, meinen Bemühungen Euren Beifall zu gewinnen, viel weniger jenen, Euch meinen Sinn und meine Begeisterung mitzuteilen. Von alters her ist der Glaube nicht jedermanns Ding gewesen, von der Religion haben immer nur Wenige etwas verstanden, wenn Millionen auf mancherlei Art mit den Umhüllungen gegaukelt haben, mit denen sie sich aus Herablassung willig umhängen ließ. Jetzt besonders ist das Leben der gebildeten Menschen fern von allem was ihr auch nur ähnlich wäre. Ich weiß daß Ihr ebensowenig in heiliger Stille die Gottheit verehrt, als Ihr die verlassenen Tempel besucht, daß es in Euren geschmackvollen Wohnungen keine anderen Hausgötter gibt, als die Sprüche der Weisen und die Gesänge der Dichter, und daß Menschheit und Vaterland, Kunst und Wissenschaft, denn Ihr glaubt dies alles ganz umfassen zu können, so völlig von Eurem Gemüte Besitz genommen haben, daß für das ewige und heilige Wesen, welches Euch jenseit der Welt liegt, nichts übrig bleibt, und Ihr keine Gefühle habt für dasselbe und mit ihm. Es ist Euch gelungen das irdische Leben so reich und vielseitig zu machen, daß Ihr der Ewigkeit nicht mehr bedürfet, und nachdem Ihr Euch selbst ein Universum geschaffen habt, seid Ihr überhoben an dasjenige zu denken, welches Euch schuf. Ihr seid darüber einig, ich weiß es, daß nichts Neues und nichts Triftiges mehr gesagt werden kann über diese Sache, die von Philosophen und Propheten, und dürfte ich nur nicht hinzusetzen, von Spöttern und Priestern, nach allen Seiten zur Genüge bearbeitet ist. Am wenigsten – das kann Niemandem entgehen – seid Ihr geneigt, von den Letzteren darüber etwas zu hören, welche sich Eures Vertrauens schon längst unwürdig gemacht haben, als solche, die nur in den verwitterten Ruinen des Heiligtums am liebsten wohnen, und auch dort nicht leben können, ohne es noch mehr zu verunstalten und zu verderben. Dies alles weiß ich, und bin dennoch von einer innern und unwiderstehlichen Notwendigkeit, die mich göttlich beherrscht1 durchdrungen zu reden, und kann meine Einladung, daß gerade Ihr mich hören mögt, nicht zurücknehmen.

Was das letzte betrifft, so könnte ich Euch wohl fragen: ...

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